Gegenseitige Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen in Deutschland – zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2005/214/JI in das deutsche Recht
Abstract
Council Framework Decision 2005/214/JHA on the application of the principle of mutual recognition to financial penalties was implemented into German law in October 2010. With this instrument, it is for the first time possible to enforce financial penalties in all Member States of the European Union using a uniform procedure, provided that the Member States have adopted the necessary implementation laws. FD 2005/214/JHA is governed by the principle of mutual recognition, which became a cornerstone of cooperation both in civil and in criminal matters at the Council meeting in Tampere in 1999. In particular, the concept of list offences under Art 5 of the FD, where double criminality is not verified by the executing State, is based upon this principle.
In Germany, the Federal Office of Justice (Bundesamt für Justiz) in Bonn has been designated as the competent authority for incoming and outgoing requests under FD 2005/214/JHA. The following article gives an overview of the German implementation law on the basis of FD 2005/214/JHA.
I. Einleitung
Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung wurde auf der Sondertagung des Europäischen Rates im finnischen Tampere als Eckstein der zukünftigen justiziellen Zusammenarbeit in Zivil- und Strafsachen bestimmt. Als erstes strafrechtliches Instrument wurde auf dieser Grundlage 2002 der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (2002/584/JI) angenommen. Weitere Rahmenbeschlüsse folgten. Mit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon wurde der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen in Art. 82 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union als Grundsatz für die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen festgelegt.
Am 24.02.2005 hatte der Rat den Rahmenbeschluss über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen (im Folgenden: RB Geld) angenommen. Der RB Geld ersetzt für die Vollstreckung von Geldstrafen und Geldbußen die herkömmliche Vollstreckungshilfe zwischen den Mitgliedstaaten der EU. Er schafft erstmals eine einheitliche Rechtsgrundlage für die EU-weite Vollstreckung von Geldsanktionen und füllt damit eine Lücke in der strafrechtlichen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten.
Deutschland hat mit dem Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2005/214/JI des Rates vom 24. Februar 2005 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen vom 18.10.2010 den RB Geld umgesetzt. Die Umsetzung von Rahmenbeschlüssen hatte sich maßgeblich dadurch verzögert, dass das Bundesverfassungsgericht mit Entscheidung vom 18.07.2005 das (erste) Umsetzungsgesetz zum Europäischen Haftbefehl für verfassungswidrig erklärt hatte.
II. Zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2005/214/JI in Deutschland
1. Gesetzgebungsverfahren
Die Bundesregierung hat den Gesetzesentwurf am 13.01.2010 beschlossen. Nach Befassung von Bundesrat und Bundestag (Rechtsausschuss) ist das Gesetz am 18.10.2010 vom Bundespräsidenten ausgefertigt und am 27.10.2010 verkündet worden.
Die Vorschriften, mit denen der RB Geld umgesetzt wurde, sind in das Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) aufgenommen worden, und zwar in einem eigenen Abschnitt des Neunten Teils über den Vollstreckungshilfeverkehr mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (§§ 86 - 87o IRG). Auch die vorangegangenen Rahmenbeschlüsse haben gesonderte Teile im IRG erhalten, die sich deutlich von den übrigen Bestimmungen des Gesetzes absetzen, welche die strafrechtliche Zusammenarbeit mit Staaten außerhalb der EU behandeln.
2. Die Grundzüge des Verfahrens der Anerkennung und Vollstreckung
a) Behördliche Entscheidung
Gemäß Art. 2 Abs. 1 RB Geld wurde das Bundesamt für Justiz, eine Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz mit Sitz in Bonn, als Bewilligungsbehörde für sämtliche ein- und ausgehende Ersuchen bestimmt. Die Entscheidung für eine zentrale Zuständigkeit in Deutschland soll die Zusammenarbeit mit den anderen Mitgliedstaaten und zugleich den Umgang mit der neuen Materie erleichtern. Das Bundesamt für Justiz nimmt die ausländischen Ersuchen entgegen und arbeitet eng mit den Behörden des Entscheidungsstaates zusammen. Ist die Geldsanktion in Deutschland anerkannt und vollstreckt worden, teilt das Bundesamt für Justiz dies der ausländischen Stelle mit.
Der Betroffene muss vom Bundesamt für Justiz angehört werden (§ 87c Abs. 1 IRG). Das Bundesamt für Justiz übersendet dem Betroffenen Abschriften der vom Entscheidungsstaat übermittelten Unterlagen. Dieser hat binnen zwei Wochen Gelegenheit, Einwendungen gegen die Zulässigkeit und Bewilligungsfähigkeit des Ersuchens vorzubringen. Danach entscheidet das Bundesamt für Justiz über die Bewilligung der Vollstreckung. Die Verpflichtung des Art. 6 RB Geld, die ausländische Entscheidung anzuerkennen und zu vollstrecken, erscheint in § 87d IRG, wonach die Bewilligung eines zulässigen Ersuchens nur in eng begrenzten Ausnahmefällen abgelehnt werden kann. Der mit Gründen versehene Bewilligungsbescheid, der zugleich eine Rechtsbehelfsbelehrung enthält, wird dem Betroffenen zugestellt (§ 87f Abs. 3 IRG). Sofern keine freiwillige Zahlung erfolgt, betreibt das Bundesamt für Justiz die Zwangsvollstreckung. Die Anhörung kann gemäß § 87c Abs. 2 IRG unterbleiben, wenn die Bewilligungsbehörde unmittelbar nach Eingang des Ersuchens gegenüber dem Entscheidungsstaat ein Zulässigkeits- oder Bewilligungshindernis geltend macht oder in den Ausnahmefällen des § 87i IRG eine gerichtliche Umwandlung der Entscheidung beantragt werden muss. Ebenso zählt zum Rechtsschutz des Betroffenen die Möglichkeit, sich gemäß §§ 87e, 53 IRG eines anwaltlichen Beistands zu bedienen. Ist dies wegen besonderer Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage erforderlich, wird ihm dieser Beistand von Amts wegen bestellt.
b) Gerichtliche Überprüfung
Gegen die Bewilligungsentscheidung ist der ordentliche Rechtsweg eröffnet. Diese Möglichkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes ist durch den Erwägungsgrund 6 des RB Geld gedeckt, wonach jedem Mitgliedstaat die Freiheit zur Anwendung seiner verfassungsmäßigen Regeln für ein ordnungsgemäßes Gerichtsverfahren bleibt. Der Betroffene kann gegen die Bewilligung innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung Einspruch einlegen und eine gerichtliche Überprüfung herbeiführen. Bevor das Bundesamt für Justiz das Verfahren an das zuständige Amtsgericht abgibt, hat es gemäß § 87g Abs. 1 Satz 2 IRG die Möglichkeit, dem Einspruch abzuhelfen. Hilft die Behörde dem Einspruch nicht ab, so entscheidet nach § 87g Abs. 1 Satz 1 IRG das zuständige Amtsgericht. Örtlich zuständig ist grundsätzlich das für den Wohnort des Betroffenen zuständige Amtsgericht (§ 87g Abs. 2 IRG). Den Bundesländern wird in § 87g Abs. 2 Satz 7 IRG die Möglichkeit eröffnet, die Zuständigkeit bei einem oder mehreren Amtsgerichten zu konzentrieren.
Gegen den Beschluss des Amtsgerichts kann der Betroffene nach Maßgabe der §§ 87j - 87l IRG Rechtsbeschwerde zum Oberlandesgericht einlegen, die der gesonderten Zulassung bedarf. Dafür gelten weithin die Vorschriften der StPO und des GVG über die Revision entsprechend (§ 87j Abs. 2 IRG). Zugelassen wird die Rechtsbeschwerde nur, wenn es geboten ist, die Nachprüfung des erstinstanzlichen Beschlusses zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen. Ferner ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn erstinstanzlich rechtliches Gehör versagt wurde (§ 87k Abs. 1 IRG). Zur Wahrung der Rechtseinheitlichkeit kann die Sache schließlich dem Bundesgerichtshof vorgelegt werden.
3. Die Umsetzung des Rahmenbeschlusses im Einzelnen
a) Anzuerkennende Entscheidungen (Art. 1 RB Geld)
Nach § 87 Abs. 2 IRG kann Vollstreckungshilfe durch Vollstreckung einer in einem anderen Mitgliedstaat rechtskräftig verhängten Geldsanktion geleistet werden, wenn die Geldsanktion auf einer Entscheidung beruht, die ein Gericht oder eine Behörde wegen einer nach dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaates strafbaren Tat oder wegen einer Tat getroffen hat, die nach dessen Recht als Ordnungswidrigkeit geahndet wurde. Im letzteren Fall muss gegen die Entscheidung ein auch für Strafsachen zuständiges Gericht angerufen werden können. Unter den Begriff der Geldsanktion fallen gemäß Art. 1 b) RB Geld nicht nur die verhängte Geldstrafe oder Geldbuße, sondern auch die Verfahrenskosten sowie Geldbeträge, die zugunsten des Opfers oder von Opferschutzorganisationen oder öffentlicher Kassen festgesetzt wurden. Der deutsche Gesetzgeber hat diese Vorgaben vollständig in § 87 IRG umgesetzt. Zwar kennt das deutsche Recht Entscheidungen von Behörden in Strafsachen nicht; der RB Geld verpflichtet allerdings die Mitgliedstaaten, auch solche Entscheidungen anzuerkennen und zu vollstrecken, die dem jeweiligen nationalen Recht unbekannt sind, solange sie im RB Geld aufgeführt werden. Ebenfalls anerkannt und vollstreckt werden können Geldsanktionen gegen juristische Personen, obwohl das deutsche Recht eine Strafbarkeit juristischer Personen nicht kennt.
b) Formale Voraussetzungen und Sprachenregime (Art. 4, 16 RB Geld)
Nach § 87a IRG hat der Entscheidungsstaat das Original der zu vollstreckenden Entscheidung oder eine beglaubigte Abschrift hiervon zu übermitteln sowie die von seiner zuständigen Behörde ausgefüllte und unterzeichnete Bescheinigung entsprechend dem im Anhang zum RB Geld abgedruckten Formblatt. Von der möglichen Erleichterung in Art. 4 Abs. 3 Satz 1 RB Geld (Übermittlung per E-Mail oder Fax) hat der deutsche Gesetzgeber keinen Gebrauch gemacht.
Entsprechend Art. 16 Abs. 1 RB Geld muss die Bescheinigung in die Amtssprache des Vollstreckungsstaates – für Deutschland also in die deutsche Sprache – übersetzt werden. Eine Erklärung, wonach auch Bescheinigungen in anderen Amtssprachen der EU akzeptiert werden, hat Deutschland nicht abgegeben. Liegt die Bescheinigung nach Art. 4 RB Geld nicht vor, ist sie unvollständig oder entspricht offensichtlich nicht der Entscheidung, so kann die Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidung verweigert werden. In Deutschland wurde diese Vorschrift als zwingende Zulässigkeitsvoraussetzung in §§ 87a, 87b Abs. 3 Nr. 1 IRG umgesetzt.
c) Stichtagsregelung
Das Datum der Verkündung des Umsetzungsgesetzes (27.10.2010) ist für die Anwendbarkeit des RB Geld in Deutschland entscheidend. Gemäß § 98 IRG, der für ein- und ausgehende Ersuchen gilt, können ausländische gerichtliche Entscheidungen in Deutschland nur dann anerkannt und vollstreckt werden, wenn sie nach dem 27.10.2010 rechtskräftig geworden sind. Bei behördlichen Entscheidungen gilt, dass diese nach dem 27.10.2010 ergangen sein müssen. Diesen Unterschied zwischen gerichtlichen und behördlichen Entscheidungen begründet der Gesetzgeber mit der Vermeidung von Unklarheiten, auf welche Entscheidung welcher Instanz bei gerichtlichen Entscheidungen abzustellen ist; bei behördlichen Entscheidungen ist der das Verfahren abschließende Bescheid maßgeblich.
d) Beiderseitige Sanktionierbarkeit und Listendelikte (Art. 5 RB Geld)
Ziel des RB Geld ist es, die bisher bestehenden Hindernisse bei der grenzüberschreitenden Vollstreckung von Geldsanktionen zu beseitigen und sie wesentlich zu vereinfachen. Erreicht wird dies unter anderem dadurch, dass der klassische Ablehnungsgrund des Fehlens der beiderseitigen Sanktionierbarkeit nur noch in Ausnahmefällen geltend gemacht werden kann. Nach Art. 5 Abs. 1 RB Geld (umgesetzt in § 87b Abs. 1 Satz 2 IRG) wird die beiderseitige Sanktionierbarkeit nicht geprüft, wenn die Tat nach dem Recht des Entscheidungsstaates eine der dort aufgeführten 39 Straftatbestände oder Ordnungswidrigkeiten verwirklicht. Die Listendelikte wurden im Kern aus dem Rahmenbeschluss zum Europäischen Haftbefehl übernommen. Neu aufgenommen sind neben 6 weiteren Delikten Verhaltensweisen, die gegen die den Straßenverkehr regelnden Vorschriften verstoßen, einschließlich Verstößen gegen Vorschriften über Lenk- und Ruhezeiten und des Gefahrgutrechts. Deutschland hat hierzu im Rat folgende Erklärung abgegeben: „Als entsprechende Zuwiderhandlungen werden nur Verstöße gegen Verkehrsregeln und Regelungen zum Schutz von Verkehrsanlagen angesehen, nicht hingegen allgemeine Straftatbestände oder Verstöße gegen allgemeine Ordnungsvorschriften. Als den Straßenverkehr regelnde Vorschriften sind insoweit nur solche zu verstehen, deren Schutzzweck die Sicherheit des Straßenverkehrs oder der Erhalt der Verkehrsanlagen ist.“ Praktisch anspruchsvoll wird der Umgang mit dem letzten Listendelikt, nämlich „Straftatbestände, die vom Entscheidungsstaat festgelegt wurden und durch Verpflichtungen abgedeckt sind, die sich aus im Rahmen des EG-Vertrags oder des Titels VI des EU-Vertrags erlassenen Rechtsakten ergeben“. Jenseits der Listendelikte hat Deutschland die beiderseitige Sanktionierbarkeit als Zulässigkeitsvoraussetzung beibehalten (Art. 5 Abs. 3, Art. 7 Abs. 2 b) RB Geld, § 87b Abs. 1 Satz 1 IRG).
e) Ablehnungsgründe (Art. 7 RB Geld)
Der RB Geld erlaubt es den Mitgliedstaaten, die Anerkennung und Vollstreckung aus den in seinen Art. 7 und Art. 20 Abs. 3 aufgezählten Gründen zu versagen. Dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung werden damit Grenzen gesetzt. Die Aufzählung ist abschließend, weitere Gründe dürfen die Mitgliedstaaten nicht geltend machen.
Deutschland hat sämtliche Versagungsgründe in §§ 87a, 87b und 87d IRG umgesetzt. Nur einige sollen hier vorgestellt werden. Insbesondere die bekannte 70 €-Grenze (Art. 7 Abs. 2 h) RB Geld) hat der deutsche Gesetzgeber genutzt: Gemäß § 87b Abs. 3 Nr. 2 IRG ist die Vollstreckung nicht zulässig, wenn die verhängte Geldsanktion den Betrag von 70 € (oder dessen Gegenwert bei Umrechnung) nicht erreicht. Im Einklang mit Art. 1 b) i) – iv) RB Geld werden die einzelnen Arten der Sanktion zusammengerechnet, also insbesondere der in einer Entscheidung festgesetzte Geldbetrag aufgrund einer Verurteilung und die Kosten des Gerichts- und Verwaltungsverfahrens. Besondere Erwähnung verdient weiter der Ablehnungsgrund nach Art. 7 Abs. 2 g) ii) RB Geld, der durch Art. 3 des Rahmenbeschlusses 2009/299/JI geändert wird. Die Anforderungen an Abwesenheitsverfahren werden damit grundrechts- und betroffenenfreundlicher formuliert. Der Rahmenbeschluss 2009/299/JI ist bis zum 28. März 2011 umzusetzen und findet ab diesem Zeitpunkt Anwendung. Sollte ein Entscheidungsstaat diesen Rahmenbeschluss bereits umgesetzt haben, Deutschland als Vollstreckungsstaat aber noch nicht, kann der Entscheidungsstaat gleichwohl bereits die Bescheinigung in der neuen Fassung verwenden. Nach § 87b Abs. 3 Nr. 9 IRG ist die Vollstreckung der Geldsanktion schließlich nicht zulässig, wenn die betroffene Person in dem ausländischen Verfahren keine Gelegenheit hatte einzuwenden, für die der Entscheidung zugrunde liegende Handlung nicht verantwortlich zu sein, und sie dies gegenüber der Bewilligungsbehörde geltend macht. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen damit vor allem Fälle der Halterhaftung im Straßenverkehr erfasst werden, in denen unter Verstoß gegen das Schuldprinzip der Halter eines Fahrzeugs als solcher sanktioniert wird.
Nach Art. 20 Abs. 3 Satz 1 RB Geld kann jeder Mitgliedstaat die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen verweigern, wenn die Bescheinigung Anlass zu der Vermutung gibt, dass Grundrechte oder allgemeine Rechtsgrundsätze gemäß Art. 6 EUV verletzt wurden. Nach dem eindeutigen Wortlaut ist dies ein weiterer Ablehnungsgrund, den die Mitgliedstaaten heranziehen dürfen. Dies folgt unter anderem aus Art. 20 Abs. 3 Satz 2 RB Geld, der das auch für die übrigen Ablehnungsgründe vorgesehene Konsultationsverfahren vorschreibt. In Deutschland ist die Leistung von Rechtshilfe für andere Mitgliedstaaten unzulässig, wenn die Erledigung des Ersuchens zu den in Art. 6 EUV enthaltenen Grundsätzen im Widerspruch stünde (§ 73 Satz 2 IRG).
Die Zulässigkeitsvoraussetzungen sind vom Gesetzgeber als zwingend ausgestaltet worden. Liegt einer der Tatbestände vor, muss die Bewilligungsbehörde die Anerkennung und Vollstreckung der ausländischen Entscheidung ablehnen. Zu einer solchen Ausgestaltung war der nationale Gesetzgeber trotz des Wortlauts des Art. 7 RB Geld, der von den zuständigen Behörden des Vollstreckungsstaats spricht, unionsrechtlich befugt. Der RB Geld kann nur so verstanden werden, dass das jeweilige nationale Umsetzungsrecht über die Ausgestaltung der Versagungsgründe entscheidet. Es wäre auch nicht ersichtlich, wie ein behördliches Ermessen im Einzelfall rechtsstaatlich und gegenüber allen Betroffenen gleich ausgeübt werden sollte, wenn es etwa am Erreichen der 70 €-Grenze fehlte.
Das Bundesamt für Justiz als Bewilligungsbehörde konsultiert nach Art. 7 Abs. 3 RB Geld (wie auch in allen anderen Fällen, etwa Art. 9 Abs. 2, Art. 14 RB Geld) die zuständigen Behörden der anderen Mitgliedstaaten.
f) Umrechnung und Herabsetzung (Art. 8 RB Geld)
Geldsanktionen aus Mitgliedstaaten, die den Euro (noch) nicht eingeführt haben, werden gemäß § 87f Abs. 2 Satz 1, § 54 Abs. 2 IRG (= Art. 8 Abs. 2 RB Geld) umgerechnet. Maßgeblich ist der Wechselkurs am Tag der Verhängung der Entscheidung. Als Konsequenz des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gilt dies gerade auch dann, wenn für die gleiche Tat nach Recht und Praxis in Deutschland die Geldsanktion niedriger ausgefallen wäre. Die Ausnahme in Art. 8 Abs. 1 RB Geld, dass die Geldsanktion auf das nach innerstaatlichem Recht vorgesehene Höchstmaß herabgesetzt werden kann, wenn die Tat außerhalb des Hoheitsgebiets des Entscheidungsstaates begangen wurde und zugleich die Gerichtsbarkeit des Vollstreckungsstaates begründet ist, wurde in § 87f Abs. 2 Satz 2 IRG umgesetzt.
g) Zwangsvollstreckungsrecht (Art. 9 und 10 RB Geld)
Für die Zwangsvollstreckung im engeren Sinn, die von der Anerkennung und Vollstreckung nach dem RB Geld insgesamt unterschieden werden muss, sind Art. 9 und 10 RB Geld einschlägig. Nach Art. 9 Abs. 1 Satz 1 RB Geld muss auf die Vollstreckung einer ausländischen Entscheidung das Recht des Vollstreckungsstaates in derselben Weise anwendbar sein wie bei Geldstrafen und Geldbußen, die vom Vollstreckungsstaat verhängt werden. Deshalb werden für Geldstrafen und für Geldbußen in § 87n IRG die Vorschriften des Ordnungswidrigkeitengesetzes (OWiG) und der Justizbeitreibungsordnung für anwendbar erklärt.
Die Möglichkeit von Ersatzfreiheitsstrafen oder anderen Ersatzstrafen nach Art. 10 RB Geld hat Deutschland nicht genutzt. Für eingehende Ersuchen erlaubt § 87n IRG keine Ersatzfreiheitsstrafe oder andere Sanktion, auch wenn der entscheidende Mitgliedstaat dies in der Bescheinigung zugelassen haben sollte. Für ausgehende Ersuchen werden Ersatzstrafen im Vollstreckungsstaat ebenfalls ausgeschlossen.
h) Erlösverteilung und Kosten (Art. 13 und 17 RB Geld)
Art. 13 RB Geld liegt die Erwägung zugrunde, dass alle Mitgliedstaaten nicht nur Entscheidungen anderer Mitgliedstaaten anerkennen und vollstrecken, sondern auch selbst Entscheidungen zur Anerkennung und Vollstreckung an die anderen Mitgliedstaaten übermitteln, dass also Aufwand und Ertrag sich langfristig in etwa gleichmäßig verteilen. Deshalb verbleibt dem Vollstreckungsstaat der aus der Anerkennung und Vollstreckung resultierende Erlös. Für eingehende Ersuchen ist innerhalb Deutschlands zwischen Bund und Bundesländern die Verteilung in § 87n Abs. 5 Satz 1 und 2 IRG so bestimmt, dass dem Bund das Geld zusteht, soweit nicht ein Gericht (eines Bundeslandes) mit der Sache befasst war. Entsprechend wird Deutschland bei ausgehenden Ersuchen den Vollstreckungsstaat auch nicht um Übermittlung des Erlöses bitten. Im Einklang mit Art. 13 Hs. 2 RB Geld kann bei Opferentschädigungen im Sinne von Art. 1 b) ii) RB Geld mit dem Entscheidungsstaat vereinbart werden, dass der Erlös aus der Vollstreckung dem Opfer zufließt (§ 87n Abs. 5 Satz 3 IRG).
Der Kostenverzicht in Art. 17 RB Geld ist durch den bereits bei Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2006/783/JI neugefassten § 5 Abs. 4 Justizverwaltungskostenordnung sichergestellt. Danach werden Kosten nicht erhoben, soweit Rahmenbeschlüsse der Europäischen Union einen gegenseitigen Verzicht auf Kostenerstattung vorsehen.
4. Ausgehende Ersuchen
Ist Deutschland Entscheidungsstaat, übersendet das Bundesamt für Justiz gemäß Art. 4 Abs. 1 RB Geld das Ersuchen an den Vollstreckungsstaat, in dem der Betroffene seinen Wohnsitz hat, sich in der Regel aufhält, Einkommen bezieht oder über Vermögen verfügt oder in dem eine juristische Person ihren Sitz hat. Es gilt die Stichtagsregelung des § 98 IRG (siehe oben 3. c)). Der andere Mitgliedstaat kann um Anerkennung und Vollstreckung von Geldstrafen und Geldbußen sowie Kosten des Verfahrens ersucht werden (§ 87o Abs. 1 Satz 3 IRG). Bei der übersandten Entscheidung kann es sich um eine solche nach Art. 1 a) i), iii) oder iv) RB Geld handeln. Insbesondere fallen nach deutschem Ordnungswidrigkeitenrecht sanktionierte Taten in den Anwendungsbereich des RB Geld, weil gegen den Bußgeldbescheid der Verwaltungsbehörde der Rechtsweg zu den Strafgerichten eröffnet ist (§ 68 OWiG). Das Vollstreckungshindernis des Art. 15 RB Geld wurde vollständig in § 87p IRG umgesetzt.
Das Bundesamt für Justiz hat den deutschen Behörden im Internet ein elektronisches Formular zur Verfügung gestellt, mit dessen Hilfe die im Anhang zum RB Geld abgedruckte Bescheinigung ausgefüllt werden kann. Die deutsche Behörde wird Schritt für Schritt durch die Bescheinigung geleitet, so dass Fehler beim Ausfüllen vermieden werden. Einzelne Felder sind bereits vorbelegt; etwaige Besonderheiten in einzelnen Mitgliedstaaten werden automatisch berücksichtigt. Ziel ist es, das Verfahren benutzerfreundlich und möglichst einfach zu gestalten, um die Akzeptanz des neuen Rechtsinstruments zu steigern. Das Bundesamt für Justiz wirbt bei allen Staatsanwaltschaften und Behörden aktiv für die neuen Möglichkeiten, die der RB Geld bei der grenzüberschreitenden Vollstreckung von Geldsanktionen bietet.
III. Zusammenfassung und Ausblick
Mit dem RB Geld hat die Europäische Union auf Grundlage des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung einen weiteren wichtigen Baustein in der strafrechtlichen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten geschaffen. Die große Mehrheit der Mitgliedstaaten hat den RB Geld umgesetzt. Auch Deutschland ist aufgrund des Gesetzes vom 18. Oktober 2010 jetzt in der Lage, an der grenzüberschreitenden Vollstreckung von Geldstrafen und Geldbußen auf Grundlage des RB Geld mitzuwirken. Für die praktische Zusammenarbeit sollten alle in Betracht kommenden Möglichkeiten der Verbesserung genutzt werden, etwa Treffen der zuständigen Behörden von benachbarten Mitgliedstaaten, aber auch die enge Begleitung und Unterstützung der Praxis durch Kommission und Rat.
Gegenüber der gelegentlichen öffentlichen Wahrnehmung des RB Geld ist festzuhalten, dass es (lediglich) um die grenzüberschreitende Vollstreckung rechtskräftiger Entscheidungen geht, also nicht um die vorangehende Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten im Erkenntnisverfahren. Für die praktische Anwendung des RB Geld und das Fallaufkommen ist entscheidend, dass es vorher zu einer rechtskräftigen Entscheidung (mit einer Geldsanktion) kommt. Grenzüberschreitende Ordnungswidrigkeitenverfahren werden aufgrund des damit verbundenen Aufwands wohl eher selten geführt. Insbesondere bei Straßenverkehrsdelikten kommt es in der Regel aufgrund regelmäßig fehlenden Halterdatenaustauschs und nicht stattfindender Fahrerermittlung nicht zu einer grenzüberschreitenden Verfolgung. Die Aufnahme von Verkehrsdelikten in die Liste von Art. 5 Abs. 1 RB Geld hat Erwartungen geweckt, denen der RB Geld als solcher kaum wird gerecht werden können. Verbesserungen sind von der Richtlinie zur Erleichterung der grenzüberschreitenden Durchsetzung von Verkehrsvorschriften zu erhoffen, über die im Rat am 02.12.2010 eine politische Einigung erzielt wurde.
Mit der praktischen Zusammenarbeit stehen die Mitgliedstaaten erst am Anfang. Die bislang bekanntgewordenen Fallzahlen sind durchweg niedrig. Verantwortlich dafür sind auch die Neuartigkeit des RB Geld und die Tatsache, dass viele Mitgliedstaaten ihn noch nicht lange umgesetzt haben. Welches tatsächliche Potential an Fällen es gibt, muss sich jetzt mittelfristig zeigen. Jedenfalls sollte erst auf Grundlage umfassender praktischer Erfahrungen über Änderungen des RB Geld selbst nachgedacht werden. Das zu erwartende impact assessment der Kommission wird hierzu einen wichtigen Diskussionsbeitrag liefern.